Jetzt zählen Mut, Geduld und Kreativität

Warum der aktuelle Nahwärme-Trend gleichzeitig zu spät und zu früh kommt

Mit den steigenden Energiepreisen wächst das Interesse an der Nahwärme. Jetzt könnte es mit der Wärmewende richtig losgehen. Wo Netzbetreiber bisher Überzeugungsarbeit leisten mussten, öffnen sich jetzt die Türen wie von selbst. 

Die unwägbaren Rohstoffpreise machen den Netzausbau aber nicht nur wünschenswert, sie machen ihn auch schwierig. Während die Netzbetreiber kurzfristig um stabile Tarife für viele neue Anschlussnehmer ringen, müssen sie gleichzeitig die langfristige Dekarbonisierung der Erzeugungsanlagen planen. Kurz: Gerade die kleineren, kommunalen Versorger stehen vor ihrer eigenen „Zeitenwende“. Einer davon ist die Nahwärmeversorgung Teningen GmbH (NWT). Die kommunale Gesellschaft betreibt in zwei Ortsteilen jeweils ein Wärmenetz. Ein drittes ist im Bau. 

endura kommunal unterstützt die NWT dabei, aus den kleinen Ausbauschritten der letzten Jahre große Sätze zu machen. Das verlangt von allen Verantwortlichen, in neuen Dimensionen zu denken. Drei Kommentare zur Situation – aus politischer, wirtschaftlicher und technischer Perspektive.


Mit „kleinen Ausbauschritten“ kommen wir jetzt nicht weiter. Die Frage ist: Was kostet es, das große Rad zu drehen?

Heinz-Rudolf Hagenacker, Bürgermeister der Gemeinde Teningen

„Die Gründung der Nahwärmeversorgung Teningen GmbH 2015 war für unsere Gemeinde ein mutiger Schritt. Bis heute konnten wir die Wärmeversorgung in drei Ortsteilen als Teil der kommunalen Daseinsvorsorge etablieren. Dieses Versprechen nehmen wir jetzt nicht zurück. Im Gegenteil: Wir wollen das Netz verdichten und die Versorgung auf weitere Ortsteile und das geplante Neubaugebiet ausdehnen. Ein Kraftakt für eine Kommune mit 12.300 Einwohnern. 

Unser Vorhaben kann nur gelingen, wenn wir eine ganzheitliche, technikneutrale Lösung entwickeln. Das ist angesichts der komplexen Sachlage gar nicht so einfach. Politik und Verwaltung müssen sich gut abstimmen. Alle Optionen, die uns helfen, den kommunalen Finanzierungsrahmen auszuschöpfen, liegen auf dem Tisch – von der optimalen Nutzung der Fördermittel bis zu Anpassungen in der Gesellschaftsform der NWT. Jetzt gilt es, ruhig und mutig zu entscheiden.

Die Zuversicht, auch große Schritte zu wagen, haben wir aus den wirtschaftlichen und technischen Prüfungen gewonnen. Vor allem aber aus dem spürbaren Willen der Bürgerinnen und Bürger, die politischen Abhängigkeiten von fossilen Rohstoffen abzuschütteln.“ 

Natürlich wollen viele Anschlussinteressenten ihre fossile Heizung schnell ersetzen. Aber sie wollen auch verlässliche Tarife. Und das braucht Zeit.

Daniel Krauß, Projektleiter endura kommunal, unterstützt die Nahwärmeversorgung Teningen bei der wirtschaftlichen und strategischen Ausbauplanung

„Die NWT setzt glücklicherweise schon seit ihrer Gründung auf nachhaltige Energie. Der erste Bauabschnitt legte die Leitung zwischen Wohngebiet und Biogasanlage. Die Abwärme des angeschlossenen BHKWs liefet jetzt 55 % des Energiebedarfs. 

Trotzdem ist der Preisdruck hoch. 15 % Gasanteil machen sich deutlich bemer­kbar. Genauso wie knapp 30 % regionale Hackschnitzel im Energiemix. Auch deren Preis hat sich verdreifacht. Bei der Anpassung der Tarife für Bestandskunden will die NWT trotzdem die inzwischen fast marktüblichen großen Sprünge im Arbeitspreis unbedingt vermeiden.

Wenn kurzfristige Tarifkalkulationen schwierig sind, dann sind es langfristige für die Netzerweiterung erst recht. Ohne die Bundesförderung für effiziente Wärmenetze lässt sich das nicht wirtschaftlich rechnen. Gleichzeitig bedeutet mehr Förderung auch mehr Vorlaufzeit. Zeit, mit der die Unsicherheit wieder wächst. Da gehört neben der nüchternen Rechnung auch weitsichtiger Mut zur Kalkulation. 

Für Anschlussinteressenten liegen diese Zusammenhänge nicht immer auf der Hand. Vollkostenvergleiche, die ihnen früher oft bei der Entscheidung geholfen haben, lassen sich heute kaum noch seriös erstellen. Die vergangenheitsbezogenen Zahlen des statistischen Bundesamts haben ihre Relevanz für die Zukunft eingebüßt. Jetzt müssen netzspezifische Elemente, wie der Energiemix oder die planbare Integration regionaler Rohstoffe für mehr Tarifsicherheit sorgen.“ 

Schritte zum wirtschaftlichen Netzausbau der NWT: 

  • Aktive Kommunikation mit Gebäudeeigentümern 
  • Erstellung eines Stufenplans zum Netz- und Erzeugerausbau 
  • Mehrere BEW-Anträge im Rahmen der Dekarbonisierung
  • Langfristige Unternehmensplanung auf Basis der Ausbauziele
  • Planung einer „Wachstumsfinanzierung

Der zügige Netzausbau gelingt nur mit mehr Effizienz – und den klassischen Energieträgern als Übergangslösung.

Matthias Sehne, Technischer Leiter der Nahwärmeversorgung Teningen GmbH

„In den letzten Jahren hat die NWT in neue Erzeuger investiert. Kapazität ist also im Netz. Allerdings nicht genug, um alle Interessenten zu versorgen. Wenn wir die Lücke schließen wollen, erleben wir die gleichen Probleme wie alle Verbraucher: Lange Lieferzeiten, kurze Geltungsdauer von Angeboten, Mangel an Fachkräften. Planungs- und Bauzeiten waren schon immer lang und werden jetzt nicht kürzer ...

Darum heißt unsere erste Antwort: Effizienz. Damit lassen sich im Idealfall auch kurzfristige Preissteigerungen abfedern. Gleichzeitig stoßen wir die langfristige Dekarbonisierung an. Bis 2030 wollen wir den Anteil von Erdgas von 15 % auf 1 % reduzieren. Zum Dekarbonisierungsprogramm gehört auch die Erschließung neuer Abwärme- quellen. Erste Gespräche mit örtlichen Unternehmen laufen bereits. Die Installation von Wärmepumpen im Brunnenwasser ist fest eingeplant.

Vor allem aber setzen wir darauf, den Anteil der Solarenergie im Energiemix zu vergrößern, vor allem durch Solarthermie. Die Gemeinde zeigt sich aber auch offen für ungewöhnlich Lösungen, wie überdachte Liegeflächen im Freibad. All diese Lösungen werden allerdings erst in einigen Jahren greifen. 

So lange wollen wir aber nicht mit dem Ausbau warten. Um in der Zwischenzeit Leistung ins Netz zu bekommen, werden wir klassische Technologien als Brücke nutzen, zum Beispiel die nicht immer beliebten Pellets. Natürlich arbeiten wir daran, möglichst schnell klimaneutral zu arbeiten. Aber bis dahin brauchen wir einfach noch Geduld.“

Energiemix 2023

  • 15 % Erdgas
  • 29 % regionale Hackschnitzel
  • 55 % Abwärme
  • 1 % Solarthermie

Geplanter Energiemix 2030

  • 1 % Erdgas
  • 42 % Hackschnitzel
  • 25 % Abwärme
  • 3 % Solarthermie
  • 18 % Grundwasser-Wärmepumpen
  • 11 % Pellets