Passt, rotiert und hat Luft

Welcher Projektentwickler passt zu meiner Kommune?

Kaum haben die ersten Überlegungen zu einem Windpark begonnen, tauchen in der Kommunalpolitik schon die ersten kniffligen Fragen auf. In der Regel zeigt sich, dass der Weg zu den richtigen Antworten für alle Beteiligten über detailreiche Verhandlungen und intensive Beratungen führt.


Bei der Windenergie geht es um große Summen. Wohin dieses Geld fließt, entscheidet sich gleich am Anfang des Projekts. Die Auswirkungen einer (Fehl-)Entscheidung auf den kommunalen Haushalt können erheblich sein. Darum fordert die Ausweisung eines Potenzialgebiets geradezu, dass Verwaltung und politische Gremien sich den fachlichen Fragen stellen. Die Wertschöpfungspotenziale mögen nicht an allen Standorten gleich hoch sein. Sie sind aber auf jeden Fall hoch genug, um eine intensive Prüfung zu rechtfertigen. Wie stehen wir zur Windenergie allgemein? Sind wir mit Pachteinnahmen zufrieden oder wollen wir uns finanziell am Projekt beteiligen? Und wenn ja, in welcher Höhe? Können bzw. wollen wir den Windpark auch später teils selbst betreiben?

Und dann sind da ja noch die Anrainerkommunen. In der Regel überschreitet ein Potenzial- bzw. Vorranggebiet für Windenergie mehrere Gemarkungsgrenzen. Die Nachbarn haben also ein Wörtchen mitzureden – und sie bewerten die Lage gegebenenfalls anders. Wie findet man in dieser Situation also einen passenden Windenergie-Projektentwickler, der die Bedürfnisse der Kommune(n) am besten abbildet?


Drei Flächen - sieben Kommunen

endura kommunal hat im Herbst 2023 in drei Windparkprojekten die Kommunen durch die ersten Entscheidungsphasen begleitet. Insgesamt sind sieben Kommunen an den Projekten beteiligt:


› Die Stadt Gießen und die Gemeinden Fernwald und Buseck,
› die Stadt Idstein und die Gemeinde Hünstetten,
› die Stadt Alzenau (Bayern) und die Gemeinde Freigericht

… teilen sich jeweils ein Windpotenzialgebiet.


In allen Fällen sind die Projektflächen hauptsächlich in kommunaler Hand. Ein kommunales Flächenpooling ist darum auf keiner der Flächen notwendig. Es kann direkt mit einem Interessensbekundungsverfahren, also einer Ausschreibung für die Windenergie, losgehen.

Bei der Verpachtung kommunaler oder „gepoolter“ Flurstücke ist ein formales Ausschreibungsverfahren in der Regel nicht notwendig. Nur wenn die Kommune mehr als 50 % der Betreibergesellschaft übernehmen will, muss (!) gemäß Vergaberecht europaweit ausgeschrieben werden. Mit Blick auf die Nachvollziehbarkeit und Tragweite einer solchen Entscheidung ist ein wettbewerblicher Auswahlprozess natürlich trotzdem ratsam. In vielen Projekten hat sich ein mehrstufiges sogenanntes „Interessensbekundungsverfahren“ bewährt.


Von der Realisierungsstrategie zur Vergabe

1. Die Realisierungsstrategie

Die Klärung der gemeinsamen Grundsätze und Inhalte ist eine sehr intensive Phase des Projekts. Die beteiligten Kommunen, meist beteiligen sich die Bürgermeister:innen und Vertreter:innen der kommunalen Verwaltung, befinden sich dazu in einem kontinuierlichen Abstimmungsprozess. Ziel ist eine gemeinsam getragene „Realisierungsstrategie“ für die Windenergie vor Ort. Sie gibt vor, welchen Part die Kommune bei der Projektierung einnimmt.

2. Die Vergabegruppe

Haben sich die Kommunen auf die Realisierungsstrategie geeinigt, wird eine interkommunale Vergabegruppe gebildet. Bei der Auswahl eines passenden Projektentwicklers steht sie von nun ab im Mittelpunkt der fachlichen Arbeit. Sie sollte paritätisch besetzt sein mit politischen Entscheidungsträgern (Stadt- bzw. Gemeinderät:innen, Fraktionsvorsitzenden bzw. Mitgliedern der relevanten Ausschüsse), die bei Entscheidungen Stimmrecht haben. Dazu kommen Vertreter:innen aus den Verwaltungen ohne Stimmrecht. Um die Handlungsfähigkeit sicherzustellen, sollte die Vergabegruppe nicht mehr als 20 Mitglieder haben.

3. Die Workshops

Die fachlichen Diskussionen finden anschließend in drei intensiven Workshops statt:
Im „Kriterienworkshop“ formuliert die Vergabegruppe die Inhalte für die Ausschreibung. Hier entsteht der Rahmen, in dem die Projektentwickler ihre Angebote abgeben können. Wenn der „Auswertungsworkshop“ startet, hat endura kommunal schon die Angebote gesichtet und strukturiert aufbereitet. Die Vergabegruppe entscheidet, welcher Projektentwickler für Bietergespräche eingeladen werden soll. Im dritten Workshop, den Bietergesprächen, werden die Projektentwickler auf Herz und Nieren geprüft. Am Ende empfiehlt die Vergabegruppe einen passenden Projektentwickler. Die endgültige Entscheidung treffen die politischen Gremien der beteiligten Kommunen.


Sichere Struktur für unterschiedliche Ziele

In den genannten Projekten hat dieser Prozess zum Erfolg geführt. Zwischen den Kommunen und Projektentwicklern laufen derzeit Verhandlungen für einen Kooperationsvertrag. Dabei hat sich im Laufe der Zusammenarbeit herauskristallisiert, dass sich die Inhalte und Ziele in allen drei Projekten deutlich unterscheiden.

1. In Gießen, Fernwald und Buseck umfasst das Windvorranggebiet fast ausschließlich kommunale Flächen. Private Eigentümer:innen sind nicht am Prozess beteiligt. Trotzdem hatte die interkommunale Vergabegruppe ausreichend Diskussionsstoff. Nicht zwei, sondern drei Kommunen mussten ihre politischen Ziele unter einen Hut bringen. Besonderer Fokus in den Verhandlungen: Wie intensiv können und wollen wir uns als Kommunen finanziell am Projekt beteiligen?

2. In Idstein und Hünstetten sieht die Ausgangslage etwas anders aus. Hier ist ein begrenzter Teil der Fläche in privater Hand. Den Kommunen ist es gelungen, bei der Windenergie-Entwicklung die Steuerung zu behalten. Das kommunale Flächenpooling hat die Flächeneigentümer:innen mehr überzeugt als das Pooling eines Projektentwicklers. Dazu hat auch die intensive Beratung durch endura kommunal beigetragen. So konnten kommunale und private Flächen zu einem erfolgreichen Ausschreibungsprozess geführt werden. Ein lokaler Projektentwickler hat das für die Kommunen attraktivste Angebot unterbreitet.

3. Freigericht und Alzenau standen vor der Herausforderung, den Prozess über die Grenze von Hessen und Bayern hinweg zu gestalten. Die Mitglieder der Vergabegruppe haben sich in intensiven Verhandlungen zu „Windenergie-Expert:innen“ entwickelt. Sie setzen den Fokus auf eine starke kommunale Beteiligung. Neben endura kommunal haben auch die LandesEnergieAgentur Hessen und das Bürgerforum Energiewende Hessen den Prozess begleitet.

"Es war ein langer Weg, bis wir den passenden Partner für die Projektentwicklung gefunden hatten. Schließlich mussten wir neben den kommunalen auch noch Landesgrenzen überwinden. Die kompetente und offene Unterstützung hat uns sehr geholfen, um für beide Kommunen die beste Wahl zu treffen."

Stephan Noll, Bürgermeister von Alzenau 


Eine echte Herausforderung

Welche Lehren lassen sich aus diesen drei Beispielen ziehen? Unabhängig von den unterschiedlichen Zielen und Prioritäten der Kommunen zeichnen sich erfolgreiche interkommunale Windenergie-Projekte durch zwei Eigenschaften aus.


1. Die Entscheidungsträger lassen sich auf die Komplexität des Prozesses ein.
2. Eine gut informierte und aufgeschlossene Verwaltung ist fest in das Verfahren integriert.


endura kommunal unterstützt Politik und Verwaltung mit guter Vorbereitung und ausgewogenen Argumenten. Trotzdem fragen die Teilnehmer:innen an den Workshops zuweilen etwas erschöpft: „Müssen wir das alles wirklich wissen?“
 

Ja, lautet dann die Antwort. Für eine gute Entscheidung solcher Tragweite müssen wir das.